Heute erzähle ich euch von einem Fotoshooting, das für mich immer noch etwas Besonderes ist. Es ist etwa ein Jahr her, als ich mir mal wieder ein paar Gedanken über meine Fotografie machte und dabei etwas durch meinen Instagram Account scrollte. Viele schöne Bilder, aber ich war damals auf der Suche nach mehr. Etwas in den Portraits, was mich darüber hinaus noch berührt oder gar eine tiefere Bedeutung für mich hat. Und da hörte ich auf zu scrollen, mein Blick verharrte: ein Bild von Apurva. Was war daran so anders? Aus welchem Grund hatte es für mich etwas so Einzigartiges an sich, dass ich dort stehen geblieben bin? Es hat etwas gebraucht, bis ich mir eine Antwort auf diese Fragen geben konnte und mir etwas klar wurde, was mir heute mit am Wichtigsten bei meiner Fotografie ist. Aber meine Begegnung mit ihr beginnt zuerst mit einer kleinen Geschichte:
„Vielfalt abbilden - das erschien mir unmöglich. Die Kunst der Fotografie begriff ich bisher in Form der Reduktion, dem Fokussieren auf nur ein einziges Detail, das alles andere ins
Unwesentliche verschwimmen lässt.“
Mit diesen Worten begann ich meinen kurzen Bewerbungstext zu Diversity: Call for Photos!. Ein Fotowettbewerb, den meine Uni letztes Jahr zum Thema Vielfalt und Diversität
ins Leben gerufen hat. Getreu dem Motto: „Zeig uns, wie vielfältig deine FAU ist“. Als ich das in meinem Postfach las, war gleich mein Interesse geweckt. Ich hatte nur ein kleines Problem: Ich
wusste überhaupt nicht, wie ich das Thema fotografisch darstellen sollte.
Vielfalt ist wirklich ein gutes Thema, gerade weil es nicht eines der Einfachen ist. Man beginnt dadurch, sich Gedanken zu machen. Wie kann ich das in meinen Bildern ausdrücken? Bei all meinen
Ideen war für mich immer die Krux an der Sache, dass ich normalerweise genau das Gegenteil mache. Reduktion. Mich nur auf eine Sache konzentrieren. Versuchen, alles andere auszublenden und aus
dem Bild raus zu nehmen. Nur ein einziges Detail zeigen. Am Ende habe ich aber irgendwie doch genau das wieder gemacht.
Eine unter Vielen. Apurva wurde so ziemlich am anderen Ende der Welt geboren wie ich. Sie ist in einem ganz anderen Land aufgewachsen, spricht eine ganz andere Sprache, hat in einer ganz anderen
Religion gelebt und wurde von einer ganz anderen Kultur geprägt. Aber trotz all dieser Unterschiede saß sie letztes Wintersemester im Hörsaal neben mir, hörte dieselbe Vorlesung, musste dieselben
Übungen rechnen und hat sich den Kopf über dieselben Dinge zerbrochen wie ich.
Wenn das nicht Vielfalt ist, dachte ich mir. Und so habe ich sie auch angesprochen und ihr von meiner Idee erzählt. Wenn es mir nicht möglich ist, jede Facette der Vielfalt in ein Bild zu packen,
dann zeige ich eben nur eine davon. One out of many.
Sie hat zu meinem Glück Ja gesagt, obwohl sie schon sehr schüchtern war. I’m very flattered, but i’m not sure if i can do that. Ich kann das immer sehr gut nachvollziehen, zumal wenn man das noch
nie vorher gemacht hat. Aber sie konnte trotzdem Vertrauen zu mir fassen.
Wir trafen uns im Neubau der Mathematik, ein sehr schöner Ort wie ich finde. Sehr offen, relativ schlicht, hell und vor allem eines: ruhig. Ich merkte schon am Anfang, dass sie zwar interessiert
und neugierig war, aber doch auch etwas unsicher und nervös. Das erste Mal vor einer Kamera und dann gleich in einem fremden Land und mit beidseitiger Sprachbarriere.
So haben wir uns eine schöne Bank gesucht, uns hingesetzt und begonnen, einfach miteinander zu reden. Wer sie denn so ist, woher sie kommt, warum sie diese lange Reise auf sich genommen hat und
was sie gerne in ihrer Freizeit in Erlangen macht. Es hat an diesem Dezembertag ein bisschen geschneit und für sie war es eine ganz neue Erfahrung, beim Radfahren von weißen Flocken umgeben zu
sein. Sie fragte auch wer ich so bin, was mich an der Fotografie so fasziniert, was mir dabei Wichtig ist und was mich denn dazu bewegt hat, gerade sie anzusprechen. Es ist für mich nichts
Ungewöhnliches, beim Fotografieren vieles über den Menschen mit dem ich mich treffe zu erfahren und auch einiges von mir preiszugeben, aber bei ihr war es doch etwas anderes.
Wir haben uns dafür sehr viel Zeit genommen. Ganz bewusst und ohne Eile. Als wir dann irgendwann aufgestanden sind und ich meine Kamera in die Hand nahm, war das ein ganz anderes Gefühl
als am Anfang unseres Treffens. Wir begannen die geplanten Bilder zu machen. Erst ganz ruhig und alleine, aber bald auch an belebteren Orten der Uni und sogar mit anderen Menschen im Hintergrund
passend zu meiner Idee.
Es war eine sehr schöne und vertraute Begegnung mit ihr und als ich Zuhause die Bilder durchging, spiegelte sich das auch in meinen Eindrücken wider. Es war gar nicht so leicht für den Wettbewerb
das eine Bild auszuwählen. Frage einen Fotografen nach seinem Lieblingsbild und er zeigt dir mindestens zehn. Aber es gab doch das Eine, zu dem ich am besten meine Gedanken niederschreiben konnte
und ich war sehr glücklich, als ich einige Wochen später die Nachricht von der Jury bekam, dass es unter die Siegerbilder gewählt wurde und einen Platz in der Vernissage bekommt.
Eine schöne Geschichte, ich denke gerne an sie zurück.
Wenn ich mir heute die Bilder von damals anschaue, dann sehe ich darin mehr als nur schön belichtete Bilder. Ich sehe darin mehr als nur den Wettbewerb oder meine Gedanken, die ich mir dazu
gemacht habe. Ich sehe in ihnen vor allem Apurva. Den Menschen, den ich durch diese Geschichte begegnen und ein klein wenig kennen lernen durfte. Ganz unverstellt, ganz natürlich. Einfach so, wie
ich sie eben erlebt habe. Schlicht authentisch.
Ich glaube, es ist genau das, was für mich die tiefere Bedeutung in diesen Bildern ausmacht. Das wir uns bewusst die Zeit genommen haben, uns zu begegnen und zu erfahren, wer da jeweils auf der
anderen Seite der Kamera ist. Nicht nur schnell etwas Smalltalk nebenbei, um die Zeit zu überbrücken bis die Technik aufgebaut ist, sondern ganz bewusst und mit echtem Interesse am
Gegenüber.
Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Es hat etwas gedauert, aber diese Erfahrung hat schließlich meine Art zu fotografieren verändert. Ich nehme mir jetzt diese Zeit, bei jedem Shooting. Auch
wenn mein Gegenüber schon sehr selbstsicher ist oder wir uns schon länger kennen - es verändert trotzdem alles. Ich habe festgestellt, dass diese Begegnung das ist, was für mich bleibt und die
Bilder zu etwas Bedeutsamen macht.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, diesen wieder etwas viel zu lang gewordenen Blogartikel bis zum Ende zu lesen. Ich sage zwar immer, dass mir das Schreiben schwer fällt,
aber wenn ich dann einmal angefangen habe, kann ich nicht so recht damit aufhören.
Ich hoffe, es hat dir dennoch gefallen und du konntest etwas für dich mitnehmen. Vielleicht hat diese kleine Geschichte ja auch dich etwas zum Nachdenken gebracht.
Beste Grüße
Sebastian
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